Mal wieder dauert es lange, bis ich mich melde. Bitte entschuldigt – aber seit gut zwei Wochen plage ich mich damit herum, wie es weitergehen soll. Die Entscheidung, nicht in den Iran zu fahren, ist gefallen. Das Land hat seine Grenzen für Touristen nicht geschlossen . Aber das Internet wird immer wieder stark eingeschränkt – und meine Familie nicht verlässlich regelmäßig informieren zu können, wie es mir geht, ist undenkbar.
Ich bin nicht der einzige, der sich mir der Iran-Frage herumplagt. Eine ganze Menge Reisender ist hier in Armenien gestrandet. Aserbaidschan hat seine Landgrenzen derzeit für Touristen geschlossen, Syrien und der Irak sind keine Alternative. Vor drei Tagen habe ich ein Pärchen getroffen, das mit einem Landrover in die Mongolei will. Er ist Holländer, sie Deutsch-Amerikanerin – ein Visum für den Iran hat sie vor dem Beginn der Demonstrationen bereits ohne Probleme bekommen, aber nach Festnahmen von Ausländern fütchtet sie: „Ich wäre die Parade-Spionin.“
Einige Tage davor habe ich zwei Polinnen getroffen (siehe unten), die um die Welt trampen. Weil es hier nirgendwo ein sicheres Durchkommen gibt, machen sie jetzt einen ganz großen Satz und fliegen nach Südkorea.
Es gibt aber auch Traveller, die weiterhin in den Iran einreisen. „Du musst halt die großen Städte meiden“, meinte ein Franzose, der auch mit dem Rad unterwegs ist. Iran ohne Teheran, Isfahan, Schiras, Yazd – für mich macht das aber keinen Sinn.
Was jetzt? Die Reise, wie ich sie vorhatte – also: nach Katar zur Fußball-WM ohne Flugzeug – ist Geschichte. Das ist klar. Nach einigem Hin und Her habe ich auch die Idee fallengelassen, mitsamt Rad nach Abu Dhabi zu fliegen und dort weiter zu radeln.
Ich habe gestern (6.10.) den Flug von Tiflis nach Memmingen gebucht. Am 19. Oktober kommen ich nachhause. Für mich fühlt sich das gut an – ich habe ja sogar dank der vielen Unterstützung bereits mein Spendenziel erreicht. Vielen Dank! Natürlich dürft Ihr weiter spenden, gerade in diesen Zeiten können wir in Heggbach und an anderen Standorten der St. Elisabeth-Stiftung Unterstützung für Freizeitangebote für Menschen mit Behinderung brauchen.
Ich werde mich noch knapp zwei Wochen in Armenien und Georgien umsehen.
Womit wir beim Thema sind:




Das Chateau Iveri habe ich in einer wunderbaren Morgenstimmung verlassen (siehe links oben). Artur und Lena – das in Georgien urlaubende russische Pärchen aus dem letzten Blogeintrag – hatten mir noch einen Film von der georgisch-russischen Grenze geschickt. Kilometerlang sind sie an russischen Autos entlanggefahren, die für die Ausreise anstanden.
Für mich ging´s auf die Passstraße Richtung Khulo. Der Verkehr nahm mit jedem Höhenmeter ab und die Zahl der Kühe auf der Straße zu. Leider lag die Wettervorhersage genau richtig: Auf halber Strecke fing es an zu regnen. Kein Spaß, aber auch das muss man auf einer Radreise wohl mal mitgemacht haben.

Ich bin jedenfalls pitschnass – von innen und außen – irgendwann an meinem Ziel angekommen. Dort wartet ein Kuriosum: Eine kleine Seilbahn überspannt das Tal und führt auf der anderen Seite zu dem kleinen Bergdorf Tago. Eine Kabine, die gerade so groß ist, dass ich mein Rad mitnehmen konnte, ein Drahtseil, eine Tal- und eine Bergstation – das ist´s. Keine Masten unterwegs, keine Absicherung – eine ganz besondere Fahrt.


Mit mir in die Bahn waren Maria und Patrizia, die beiden Polinnen. Sie haben einige Wochen gegen Kost und Logis in einem abgelegenen Camp gearbeitet und sind dann weitergezogen. Per Anhalter um die Welt – das ist ihr Ziel mit quich.hiking. Die beiden spielen in ihrer Heimat im Verein quidditch, den Sport, den JK Rowling in Harry Potter erfunden hat – daher der ungewöhnliche Name ihres Projekts. Auch sie hatten von der kleinen Seilbahn gehört – und dem ungewöhnlichen Glampingplatz in Tago …




Glamping Tago ist tatsächlich außergewöhnlich – nicht nur wegen des Blicks aus dem Freiluft-Badezimmer. Jonas aus Belgien hat sich beim Reisen in den Platz verliebt und kurzerhand zugeschlagen. Nachvollziehbar: Sein Glamping liegt auf einem kleinen Plateau mit einem wunderbaren 270-Grad-Blick. Sonnenauf- und -untergang sind magisch, nachts ziehen Sterne über einen hinweg, die man bei uns zuhause niemals sehen würde.
Das Zentrum des Platzes bildet eine große Jurte, in der Frauen aus dem Dorf das Regiment haben und wunderbar für die Gäste kochen. Umgerechnet rund 30 € kostet die Nacht im großen Schlafsaal-Zelt inklusive Buffet zum Frühstück und zum Abendessen. Man kann auch ein eigenes Zelt mieten – das ist dann doch eine ganze Stange teurer.




Als sich nach zwei Tagen die Wolken verzogen, war ich einfach überwältigt. Man kann gar nicht anders.
Und ich habe wieder viel gelernt: Zum Beispiel, dass nicht nur Russen seit Beginn des Krieges ihr Land verlassen, sondern auch viele Weißrussen. Auch hier wieder die jungen, gut ausgebildeten Leute, die vom Ausland aus arbeiten können. Schon frustriert vom Wahlbetrug 2020, war für sie bei Ausbruch des Krieges gegen die Ukraine das Maß voll, berichtet mir Daria, die mit ihrem Freund nach Batumi gezogen ist: „Unser Präsident sagt immer wieder, dass wir nicht mit Putin in diesen Krieg ziehen. Aus der Erfahrung wissen wir: Je öfter er das sagt, desto wahrscheinlicher ist, dass es am Ende doch anders kommt.“ Daria und ihr Freund sind nicht allein: „Minsk hatte über eine Million Einwohner – jetzt ist die Zahl unter eine Million gefallen“, meint sie.
Spannend sind auch Jonas´ Geschichten über die mühsame Entstehung des Zeltdorfs – er hat sich ohne jede Vorkenntnisse in das Projekt gestürzt. Im ersten Winter kam plötzlich der Anruf: „Die Jurte ist eingestürzt.“ Zu viel Schnee. Solche Rückschläge gab´s zuhauf – „wir müssen halt draus lernen“, meint Jonas, der dann selbst eine solide Holzkonstruktion für die neue Jurte entworfen hat. Gefühlt halb Tago arbeitet für ihn. Ganz klassisch: Die Frauen managen die Küche und die Reinigung, die Männer sind Handwerker, Fahrer und Rezeptionisten. Was ich besonders spannend fand: Die ganze Hardware – Planen, Zelte, Jurten, ein Großteil der Konstruktionen, die alles halten – hat sich Jonas aus dem Internet besorgt. Das Zauberwort ist die chinesische Plattform Alibaba. „Du musst nur bis zur letzten Naht ganz genau wissen, was Du willst – irgendjemand findet sich auf Alibaba, der das auf Basis Deiner Wünsche für Dich anfertigt.“

Jonas und seine Freundin sind auch begeisterte „Siedler-von-Catan“-Spieler. All mein Setzen auf Ontwikkelings-Karten hat nichts genutzt – Jonas hat gewonnen.
Mit das Beste auf Glamping Tago: Es gibt sogar kühles Bier vom Fass. Die Halbe für umgerechnet 1,80 € …



Jonas (links) spricht längst Georgisch mit seinem Team. Sehr schwer, von diesem wunderbaren Platz Abschied zu nehmen.



Die 1.600 Höhenmeter – es geht immer wieder rauf und runter – zum Goderdzi-Pass habe ich mir ehrlich gesagt mit Rad und meinem ganzen Gepäck nicht zugetraut. Ein Fahrer hat mich und mein Rad hinüber gebracht. Im Nachhinein eine sehr gute Entscheidung: Die Passstraße wird gerade von einer Dirt Road zu einer Teerstraße umgebaut – alle paar Hundert Meter sind Baustellen mit zum Teil für Räder unpassierbaren Stellen. Oben am Pass wurde ein Skizentrum gebaut, das dringend auf Anschluss an die Verkehrsinfrastruktur wartet. Auch hier bauen die unvermeidlichen Chinesen mit. Die neue Seidenstraße wird also auch durch den Südkaukausus führen.




Auf der anderen Seite des Gebirgskamms erwartete mich eine völlig andere Vegetation. Alles ist im Herbst braun, Ackerbau gibt es hier kaum – Hirten ziehen mit ihren Kuh-, Ziegen- oder Schafsherden über die kargen Berge. Lediglich um die Flüsse herum ist es noch grün.
Grün mögen es auch meine Gastgeber in der Nähe von Vardzia (siehe unten) – alles, was sie ihren Gästen zum Abendessen und zum Frühstück anbieten, kommt aus dem eigenen Garten. Hätte ich im fleischlastigen Georgien gar nicht erwartet: Zum zweiten Mal nach Glamping Tago esse ich vegetarisch.




Die Höhlenstadt Vardzia ist UNESCO-Weltkulturerbe. Sie wurde im 12. Jahrhundert in den Fels gebaut. Im Notfall konnten hier bis zu 50.000 (!) Menschen leben. Ein Erdbeben ließ einen großen Teil der Stadt einstürzen. Trotzdem kann man dort noch herumklettern und sich einen Eindruck vom Leben damals verschaffen. Ich bin hingewandert – György (gefühlt heißen die Hälfte der Männer in Georgien so) hat mich ein paar Kilometer in seinem abenteuerlichen Truck mitgenommen.

Warum diese unfertige Eisenbahnbrücke in meinem Blog vorkommt? Die Eisenbahn steht sinnbildlich für die politischen Probleme im Kaukasus. Aserbaidschan und Armenien stehen sich in der Auseinandersetzung um Bergkarabach spinnefeind gegenüber – abgesehen von den zwei großen Kriegen Anfang der 90er (Sieger: Armenien) und 2020 (Sieger: Aserbaidschan) kommt es immer wieder zu Schießereien an der Grenze. Russland, die Türkei und der Iran versuchen Einfluss zu gewinnen. Armenien hat nur offene Grenzen nach Georgien im Norden und Iran im Süden. Die Zugstrecke von Baku in Aserbaidschan nach Kars in der Osttürkei führt deshalb um Armenien herum durch Georgien.

Mitten im Off Südwestgeorgiens – wohl durchdacht in der Nähe der türkischen und der armenischen Grenze: Hotel und Casino „Las Vegas“. Die Idee, die in den letzten Jahren Batumi so verändert hat, funktioniert auch hier: Glückspiel. Ich habe dort übernachtet, das Casino war abends proppenvoll.

Ich war mit dem Rad auf einer Hochebene unterwegs, die Richtung armenische Grenze langsam um auf über 2.000 Meter ansteigt. Fast exakt auf dem höchsten Punkt liegt die Grenzstation. Unübersehbar ist, dass Georgien Armenien in den letzten Jahren wirtschaftlich abgehängt hat: Die gute Straße endet und mündet in eine Schlaglochpiste auf armenischer Seite – und plötzlich prägen russische Ladas und Wolgas das Straßenbild.
Die Landschaft bleibt herrlich. Ich bin kurz nach der Grenze zum Lake Arpi abgebogen, wo – auch mit deutscher Unterstützung – ein Nationalpark entstanden ist. Besonders attraktiv ist der See wohl im Frühjahr für Vogelliebhaber, aber auch im Herbst ist dieser entlegene Zipfel Erde – am Horizont beginnt die Türkei – sehenswert. Zum ersten Mal in meinem Leben wurde ich an einem Ein-Mann-Militärposten angehalten und kontrolliert.

Abends werden Hunderte Schafe am See entlang in ihre Ställe getrieben. Die Schäfer halten Kangals zum Schutz ihrer Herden vor Raubtieren. In Georgien bin ich zweimal auf dem Rad von Wachhunden attackiert worden – ging glimpflich aus. Um die Reviere der wirklich Respekt einflößenden Kangals habe ich einen großen Bogen gemacht.


Am nächsten Tag stand die Königsetappe an. Über eine Sand- und Kiesstraße ging´s in ständigem Auf und Ab bis hinauf auf 2209 Meter. Der höchste Punkt meiner Reise.

Auffällig: Viele Armenier haben ihre Fahrzeuge auf Gas umgerüstet.

Die Landschaft Richtung Gyumri, der zweitgrößten Stadt Armeniens, ist der in Georgien ganz ähnlich,
Gyumri hat 1988 ein verheerendes Erdbeben erlebt. Bei der Einfahrt in die Stadt fährt man immer noch durch ein Trümmerfeld. Interessant: Vor allem die Plattenbauten aus der Sowjetzeit sind damals eingestürzt, die älteren Steinhäuser größtenteils nicht.
Ich war in Gyumri erst einmal wieder beim Barbier, dem ältesten Armeniens. Zuhause lege ich mit einem Elektrorasierer selbst Hand an, im Ausland gehe ich immer gerne zum Friseur. Zum Schluss gab´s sogar einen echten osteuropäischen Seitenscheitel.


Hier gibt es auch einen spannenden Künstler, der aus Patronenhülsen und anderem Kriegsgerät Schmuck herstellt. Und nicht nur das: Artak Tadevosyan (auf dem Bild mit einer seiner Töchter) bereitet gerade eine Ausstellung vor, die er in Washington DC und Los Angeles zeigen wird.


Gyumri hat viele Überraschungen zu bieten: Zum Beispiel Agerak, ein integratives Café, das mit Unterstützung der österreichischen Caritas entstanden ist. 16 Köpfe gehören zum Team, 8 davon haben ein Handicap. Lilit, Samuel, Hovhannes und all die anderen sind superfreundlich – und der Kaffee und die süßen Stückle superlecker. Das Café liegt genau gegenüber von meinem Hotel – natürlich war ich dort immer frühstücken.



In der Altstadt von Gyumri tut sich viel. Überall werden die schönen alten Häuser renoviert. Hotels, Restaurants und Läden ziehen ein.




Auch das Erbe des Sozialismus ist immer noch spür- und sichtbar.


Ich schwinge mich jetzt wieder auf´s Rad. Die letzten Etappen Richtung Eriwan stehen an.
Das Auswärtige Amt in Berlin rät ebenfalls dringend von Reisen in den Iran ab. Für Deutsche bestehe die konkrete Gefahr, „willkürlich festgenommen, verhört und zu langen Haftstrafen verurteilt zu werden“, heißt es in den Reise und Sicherheitshinweisen im Internet. Sehr schade für dich.
Hallo Christian schade für dich und dein Projekt aber sicherlich h die richtige Entscheidung.
Aber er fliegt doch trotzdem jetzt nach Katar oder?
Grüße Eva
Ja natürlich. Und den Iran werde ich wohl ein anderes Mal besuchen.
Auf alle Fälle wieder ein sehr spannender und interessanter Bericht 🙂
Die beste und klügste Entscheidung für den momentanen Zeitpunkt.
Wünsche noch viele tolle Eindrücken bis zum 18. Oktober und freue mich dann auf Berichte aus Katar.🤗