

Am 16. September ging´s also im Hafen von Burgas los – oder besser: Sollte es eigentlich losgehen. „CHECK IN DEADLINES FOR PORT BATUMI AND BURGAS – 18.00“ steht in Großbuchstaben auf der Homepage der Fährgesellschaft. Was macht da ein Deutscher? Ist natürlich schon um 17.30 Uhr da. Und prompt noch ziemlich alleine. Nun ja: Das Beladen des Schiffes hatte immerhin schon begonnen. Bauch und Oberdeck waren aber noch gähnend leer, Passagiere kaum welche an Board. Für meine preußischen Tugenden hatte mein Mitbewohner Loris (siehe unten) später nur ein Kichern übrig.
Danil, der den Passagier-Check-In organisierte, hat sogar als Crew-Mitglied MS Deutschland-Erfahrung: „ZDF Traumschiff weißt Du!“ Weniger traumhaft findet er die chaotische Organisation bei der DrujbaLine. Achselzuckend kalkulierte er das Ablegen vorsichtig auf Mitternacht. Aber die ganze Nacht über kamen noch Autos und LKW. Ich wollte eigentlich beim „Leinen los“ dabei sein – um 2 Uhr habe ich aufgegeben. Abgelegt hat die Fähre dann zwischen 5 und 6 Uhr morgens.

Immerhin: Für den stolzen Preis von 20 € gab´s ein sicherer Plätzchen für mein Rad.

Und die Kabine war – wie die Vollpension auch – völlig in Ordnung.

Ein Blick in die Kombüse: Juhu – morgen gibt´s Fleisch. Nicht nur morgen, sondern jeden Tag morgens, mittags und abends. Bei Blumenkohl-Lauch-Gratin hätten meine Mitfahrer den Smutje wohl auch schlicht über Bord gehen lassen.

Das „Café“ – der einzige Ort an Bord, wo innen geraucht werden durfte, haben sofort die Zocker übernommen – mit einem einen Karten- und einem Dominotisch.

Ich hatte mal wieder echtes Glück: Wir waren nur zu zweit in der Viererkabine. Loris – Pass Georgien, Nationalität Armenien – war ein großartiger Mitfahrer. Nicht nur sein Wissen über die Historie des Kaukasus ist enorm, er ist auch ein echter Philosoph und hat für jede Situation Sokrates, Kant und all die anderen parat. Hin und wieder bremste er sich: „Am I talking too much?“ „No no – go on, it´s great!“

Auf so engem Raum lernt man in drei gemeinsamen Tagen zwangsläufig jede Menge Leute kennen. Die beiden kräftigen Herren im Hintergrund fahren mit ihren LKW regelmäßig Autos von München nach Tiflis. Kyrill im Vordergrund ist 78 Jahre alt und mit dem Auto unterwegs von Sofia nachhause nach Rostow am Don. Er ist gebürtiger Bulgare, hat aber in Russland studiert und sich als Ingenieur dort etwas aufgebaut. 3 Enkel leben in Sofia, 3 in Rostow. Er hat einen Hang zu selbst gebranntem Vodka. Mich hat er auch versorgt – wirklich lecker, aber nach einem halben Glas musste ich mich schon hinlegen …

Das Poster an der Wand der Passagier-Messe ist fast schon ikonisch. Es stammt noch aus der Sowjet-Zeit und soll Männer vom Trinken abhalten. Sagen wir es so: Das Poster gehört irgendwie dazu, seine erzieherische Wirkung ist seit einem halben Jahrhundert aber überschaubar. Das Geschehen zwei Tische weiter habe ich an einem Abend für mich in eine Formel gebracht: 4g + 3v = 2h. 4 Georgier packten 3 Liter-Flaschen Vodka vor sich auf den Tisch. Nach 2 Stunden war alles leer. Das Bier zwischendurch nicht mitgezählt.

Sonnenuntergang mit Rauchfahne – auch so etwas kann idyllisch sein.


Ebenfalls an Bord: Andrea und Tino aus Meißen. Er ist Lehrer, sie Erzieherin. Die beiden sind in einem Sabbatical mit ihrem VW-Bus unterwegs und wollen nach mehreren Wochen auf dem Balkan Georgien und Armenien erkunden, bevor es über die Türkei wieder zurück nach Europa geht. Tino erwischte mich voll auf dem falschen Fuß: „Was ist die Partnerstadt von Ravensburg?“ Autsch. Coswig – da kommt er ursprünglich her. OK – werde ich nie wieder vergessen. Gesprächsthemen gab es jede Menge: das deutsche Bildungssystem (natürlich :-)), die gemeinsame europäische Identität, unsere Reiseerfahrungen. Als wir einmal zusammen an der Reling standen, waren wir uns einig: Es sind die Erfahrungen in anderen Ländern, die uns unser eigenes Land in einem anderen Licht erscheinen lassen. Einen schönen Gruß an die www.rumtreiber.eu.

Mit an Bord war übrigens auch eine Familie aus Mariupol, der Stadt in der Ukraine, die im Krieg so gelitten hat. Eine Mutter mit ihren zwei keinen Töchtern, ein Mann mit seiner Frau/Freundin – gefühlt keiner der Erwachsenen über 25 Jahre alt. Sie ziehen von Ort zu Ort – jetzt wollen sie es bei Verwandten in Batumi versuchen.
Und tatsächlich: Am morgen des 19. September tauchte die georgische Hafenstadt auch wirklich auf.

Nach den Zoll-Formalitäten – die Grenzpolizei kommt zur Fracht- und Passkontrolle aufs Schiff – musste ich eine ganze Weile warten, bis ich an mein Fahrrad herankam. War schon beeindruckend, was da so von Bord rollte. Allein auf diesem LKW Autos im Wert von geschätzt über einer halben Million €.








Batumi hat mich positiv überrascht. Vorbereitet war ich auf eine Art georgisches Las Vegas. Das Land hat sich vor einigen Jahren praktisch ohne Restriktionen für Casinos und ausländische Investitionen geöffnet und vor allem in Batumi einen wahren Bauboom ausgelöst. Hinter all dem Gigantismus steckt aber auch eine wirklich schöne Altstadt und eine kilometerlange Uferpromenade am Stein- und Kieselstrand. Die Promenade endet erst am Flughafen, wo man Flugzeuge direkt über den eigenen Kopf hinweg starten sehen kann.

Nach einigem Hin und Her hat es in Batumi auch endlich mit meiner Notfall-Kreditkarte geklappt. Zum vereinbarten Termin war die Sendung laut Tracking zwar noch in Tiflis – aber plötzlich stand UPS an der Rezeption meines Hotels. Juhe!



Leider spielt das Wetter momentan nicht mit. Es regnet extrem viel, aber am 22. September habe ich mich trotzdem wieder aufs Rad geschwungen und bin die ersten 50 Kilometer in den Kleinen Kaukasus hineingefahren. Der erste Eindruck der Natur ist toll – es nerven nur die LKW: Der Fluss, an dem meine Fahrt entlang geht, wird an mehreren Stellen ausgebaggert. Die Folge sind eine Menge Lastwagen, die Radfahrer nicht wirklich als gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer betrachten.



Bin trotzdem heil an meinem ersten Ziel angekommen, einem kleinen Weingut, das mit tollem Blick am Hang liegt. Genau pünktlich: Zehn Minuten nach meiner Ankunft hat es wieder aus vollen Rohren gegossen.

Kurz nach meiner Ankunft hat mich Lena angesprochen und wir sind ins Gespräch gekommen. Lena ist mit ihrem Mann Artur und ihrem Töchterchen Oleana (siehe Bild oben) aus Moskau zum Urlaub hierhergekommen. Artur war den ganzen Abend über und auch heute Morgen viel am Handy. Er hat eine Software-Firma und berichtet von einer regelrechten Panik, die in Moskau seit der Mobilmachung ausgebrochen ist. Er hat ein kleines Team mit 20 Köpfen – fast alles junge Männer. Die Hälfte sind schon außer Landes oder versucht es mit allen Mitteln. Istanbul, Erwan, Tiflis – überall, wo Russen noch willkommen sind. „They try it even in Tajikistan – and that´s not the place where You really want to live“, meint Artur. Für ihn wird es jetzt darum gehen, für seine Leute in ihrem Zielland den Transfer ihres Gehaltes zu organisieren. Update 25.09. : Putin hat IT-Leute offenbar von der Mobiliserung ausgenommen – im Wissen, dass gerade sie das Land verlassen. Trotzdem versuchen wohl viele zu gehen.
Vorteil IT: Theoretisch kann man von fast überall aus arbeiten. Hier bei mir im Hotel ist ein weiteres russisches Pärchen – er ist Data Analyst und arbeitet seit Ausbruch des Krieges als Digital Nomad von Georgien aus.
Artur, Lena und Oleana werden indes nach Moskau zurückkehren – er ist 36 Jahre alt, also ein Jahr älter als die momentane Einberufungsgrenze. Der Fahrer, der die drei morgen in Tiflis abholen und nach Wladikawkas bringen sollte, kommt allerdings nicht durch. „Bei der Einreise nach Georgien muss man zurzeit länger als 24 Stunden warten“, berichtet Lena. Sie werden wohl ab Tiflis fliegen: „Flüge nach Moskau sind im Moment sehr billig“, witzelt Artur. Was für mich so spannend ist: Ich habe sie neben mir sitzen, die Russen, die nicht für den Krieg sind – gerade unter den jungen, gut Ausgebildeten sind es wohl besonders viele. Ich frage nicht, warum sie nicht auf die Straße gehen – angesichts des Schicksals von Nawalny und vielen anderen liegt das auf der Hand. Lena berichtet auch von einem Generationenkonflikt: „Meine Eltern haben ihre Informationen aus dem russischen Staatsfernsehen – sie verstehen nicht, wie wir denken.“



So viel aktuelle Weltpolitik bei mir am Tisch! Darauf gab´s erst mal einen Borschtsch. Heute Nacht hat mich leider Montezumas Rache erwischt – im Verdacht habe ich den kleinen Imbiss, wo ich mich gestern Mittag gestärkt habe. Mir geht es schon wieder besser, aber angesichts des Dauerregens draußen ist es mir nicht schwergefallen, hier im „Chateau Iveri“ eine Nacht dranzuhängen.
So habe ich die Gelegenheit, meinen Blog zu schreiben und nachzudenken. Die Chancen, dass ich meine Pläne umsetzen kann, sind seit ein paar Tagen weiter stark gefallen. Im Iran sind politische Unruhen ausgebrochen, nachdem eine junge Frau in Polizeigewahrsam umgekommen ist. Für mich sollte dieses Land eigentlich der Höhepunkt meiner Reise sein – aber ein Risiko eingehen will ich nicht.