Mit dem Rad zur Fuball-WM in Katar

Monat: Februar 2023

Raubtierfütterung

Eigentlich sind Mind, Minnie und Red ganz friedlich, aber …

Einmal tief Luft holen. Dann muss es schnell gehen.

Erst per Fernsteuerung das Licht im Hundezwinger anmachen und jetzt die Kellertüre auf.

Das Adrenalin schießt mir in den Körper, als das Inferno beginnt.

Sobald mich die Hunde sehen, drehen sie durch. Eigentlich sind Dino, Guinni, Ettan, Indrah, LT, Odin, Star, Red, Mind und Minnie durchaus freundlich und gut erzogen. Aber wenn es ums Fressen geht, brennt ihnen die Sicherung durch. Jeden Tag zweimal.

Links bellen Mind und Minnie, was ihre Kehle hergibt. Ganz hinten fangen LT und Odin rasend fast zu kämpfen an. Selbst der Ettan, vor dem Schlitten sonst ein kluger und ruhiger Leithund, verliert völlig die Fassung.

Sie wollen Blut sehen!

Zum Glück nicht meines. Dabei bin ich doch wirklich auch ein ganz guter Happen. Mit Ü50 vielleicht schon etwas abgehangen, aber doch wohl genährt.

Die Alaskan Malamutes lassen mich auch nicht aus den Augen. Und sie sind durchaus imposante Erscheinungen. Aber sie haben es nur auf die Schüsseln abgesehen, die ich in den Händen trage. Darin: rohes Fleisch, schön blutig und noch halb tiefgefroren.

Nein – für Zartbesaitete ist der Job hier nichts. Vor zwei Tagen kam ein LKW und hat eine Palette Hundefutter ausgespuckt. Über eine halbe Tonne tiefgefrorenes Fleisch, das Kris und ich in zwei Stunden mit Beil und Vorschlaghammer so bearbeitet haben, dass die Stücke in die Tiefkühltruhe passen.

Auch heute Abend bekommen wieder alle Hunde ihre Mahlzeit. Möglichst weit voneinander entfernt, damit kein Streit ausbricht. Selbst die unscheinbare Star versucht sonst, dem doppelt so großen Odin seinen Happen zu klauen.

Einen Kampf habe ich bisher miterlebt. Als Kris, der schon mehrere Wochen auf dem Hof ist, mir beim Fressen Ausgeben noch etwas erklären wollte, wurde es Minnie und Red zu bunt: Die dominante Mutter und ihr Sohn gingen aufeinander los – Kris musste sofort mit roher Gewalt dazwischen. Trotzdem war später Reds Nase blutig und Minnie lahmte.

Malamutes sind dafür bekannt, dass es auch mal zu einer Auseinandersetzung kommen kann. Auch wenn gerade die Jungs so knuffig aussehen wie große Kuscheltiere. Meine Gastgeberin Irene ist sehr umsichtig: Ihre Hunde leben zwar miteinander, aber zu zweit bzw. zu dritt in vier Käfigen.

Red ist eine imposante Erscheinung.

Ich weiß noch nicht viel über diese Tiere. Schon ihre Verdauung ist mir ein Rätsel. Odin und Co. schlingen Stücke, die so groß sind wie mein halber Unterarm, einfach herunter. OK – manchmal geht auch was schief: Dino hat einen Teil seines halben Ochsen vor zwei Tagen auf den Küchenboden gekotzt. Aber dann immerhin auch wieder fein säuberlich aufgeschleckt. Irene, die jeden Tag zwei oder drei ihrer Hunde im Haus übernachten lässt, hat es ungerührt geschehen lassen und dann einfach den Boden gewischt.

Diesmal geht alles gut. Und rasend schnell. Ich bin ja durchaus als Schnellesser bekannt. Aber gegen diese Hunde kann ich einpacken. Von einem knappen Kilo Fleisch ist nach Sekunden nichts mehr da. Und die Schüssel blinkt – fein säuberlich ausgeschleckt – wie neu.

Wie verwandelt sind auch die lieben Hundilein. LT, der mir in seiner Gier eben noch mit einem wilden Sprung fast die gefüllte Schüssel aus der Hand gekickt hat, schmiegt sich an mich wie ein Schmusekätzchen. „Guten Abend allerseits“, fassbendere ich vor mich hin und verlasse erleichtert das Terrain.

Ich bin an diesem Abend alleine auf dem kleinen Hof in Gäddede, einem Dorf nahe der norwegischen Grenze nicht mehr weit vom Polarkreis entfernt. Irene bringt Kris auf den gut 200 Kilometer entfernten Flughafen in Östersund. Dort macht sie gleich auch einen Großeinkauf und geht mit Guinni zum Tierarzt.

Irene hatte eine Vorahnung. Ich durfte deshalb heute Mittag auf der Terrasse schon mal eine Freifläche mit Schneemauern ausheben – als Spielzone.

Und richtig! Um 18 Uhr kommt die WhatsApp-Nachricht: „Wir bekommen Puppies.“ Guinni wird Mutter.

Und doch eine Fortsetzung …

Eigentlich wollte ich meinen Blog nach der Radfahrt beenden. Nun habe ich aber doch beschlossen, auch meine Erlebnisse vom nächsten Trip aufzuschreiben. Für einen Monat bin ich als freiwilliger Helfer im schwedischen Nirgendwo bei Irene, die zehn Schlittenhunde hat. Viel Spaß also bei Episode 1:

Fump!

Schlapp, schlapp, schlapp, schlapp …

Verwundert stelle ich durch das Seitenfenster fest: Da macht sich doch gerade unser rechter Vorderreifen auf und davon.

Da kreischt es auch schon gewaltig, als unser Fahrer Pettar den Wagen abfängt und auf der Felge zum Stehen bringt.

Die Karkasse läuft derweil gemütlich aus und legt sich am Straßenrand nieder.

Klingt irgendwie gefährlich. Ist es auf einer verschneiten Landstraße in Mittelschweden wohl auch. Aber bis auf Pettar müssen wir alle herzlich lachen. Wir: Mit mir sitzen noch zwei ältere Damen im Auto. Zusammen hatten wir in den zwei Stunden ein kleines, skurriles Abenteuer erlebt, dass in dem Reifenplatzer gipfelte.

Alles begann so: Nach rund 34 Stunden im Zug – über Nacht nach Hamburg, dann tags nach Stockholm und von dort eine weitere Nachtfahrt – kam ich doch ziemlich ramponiert in Östersund an. Die Stadt hat kaum mehr Einwohner (50.000) als meine Heimatstadt Ravensburg, aber hier wohnt fast die Hälfte der Bevölkerung der Provinz Jämtlands län – und die ist größer als Baden-Württemberg.

In Östersund musste ich sieben Stunden auf den Bus warten, der mich weiter in den Norden bringen sollte. Viel Zeit also für Kaffee, leckere schwedische Zimtschnecken und ein paar letzte Besorgungen vor der Fahrt ins Off.

Aufgemerkt: Plane nicht, in Schweden eine Sim-Karte zu kaufen – ohne schwedische ID-Nummer wirst Du keine bekommen. Auf diese Weise sollen Kriminelle von Prepaid-Karten ferngehalten werden.

Jedenfalls stand ich an diesem Tag pünktlich um 13.28 Uhr im Bushäuschen am Bahnhof von Östersund. Mit mir drei ältere Damen. Der Bus hatte auch kaum Verspätung. Aber der Fahrer hielt bloß für zwei Sekunden an und gab dann unvermittelt wieder Gas. Wir waren einen Moment völlig verdutzt, dann sprang ich wild gestikulierend und schreiend hinterher. Allein – der Bus verschwand um die nächste Kurve und ward nicht mehr gesehen.

Das war der Moment, in dem Elisabeth Persson-Grip der Kamm schwoll. Ich hatte noch gar nicht richtig realisiert, was passiert war, da hing sie schon am Handy und machte einen Mitarbeiter der Lanstrafiken von Jämtland rund. Besser gesagt: Nicht nur den, sondern als ihr alles nicht schnell genug ging, gleich noch nacheinander zwei Leute der Busgesellschaft, die für Lanstrafiken fährt.

Später sollte sich herausstellen, dass Elisabeth früher Abgeordnete im Riksdagen, dem schwedischen Parlament, gewesen war. Jetzt ist sie 80 Jahre alt, aber den verbalen Nahkampf hat sie immer noch drauf.

Eine Weile ging es hin und her. Aber schließlich landeten wir im Auto von Pettar – nur noch zu dritt, denn eine der wartenden Damen hatte sich schon leise schimpfend davongemacht, um auf anderem Weg an ihr Ziel zu kommen.

Auch Pettar ist ein Mitarbeiter der Busgesellschaft und hatte den Auftrag, nach Strömsund zu brausen. Dort sollte der Anschlussbus warten, der mich an mein finales Ziel bringen würde. Die Strecke fährt nur ein Bus pro Tag …

Pettar hatte erst einmal organisieren müssen, dass jemand anderes seine Kinder von der Schule abholt. Dann hatte er sich in das Auto geschwungen, das ihm seine Firma für den Trip zur Verfügung gestellt hatte.

Auf der Fahrt berichtete er von Version, die der Busfahrer berichtet hatte: Weil wir alle vier nicht zu seiner Tür, sondern weiter hinten zur Gepäckklappe gelaufen waren, um unsere Koffer zu verstauen, hatte er geglaubt, dass wir in einen Bus hinter ihm wollten. Dass da kein Bus war – wurscht. 

Wir hatten es trotz Reifenschaden lustig. Im Vordergrund die resolute Elisabeth Persson-Grip.

Nun begutachtete Pettar ziemlich ratlos den Schaden an seinem VW Caddy. Ein Reserverad fand er nicht – geschweige denn einen Wagenheber, ein Warndreieck, Warnwesten oder auch nur irgendein Werkzeug. `Muss an meinem perfekten Bild von Schweden arbeiten´, musste ich unwillkürlich in mich hineingrinsen.

Die Lösung: Ein Taxi muss her, das mich die letzten 25 Kilometer nach Strömsund bringt. Zum Glück hatte der einzige Taxifahrer der einen Kilometer entfernten Ortschaft Hammerdal auch Zeit. Er brachte zunächst die schimpfende Elisabeth nachhause, die andere Dame hatte sich schon kopfschüttelnd von einer Freundin abholen lassen.

Der Bus in Strömsund wartete bereits über eine Stunde. `Da hast Du jetzt eine Menge Leute, die sich so richtig auf dich freuen´, dachte ich. Andrea, meine Frau, witzelte von daheim über whatsapp: „Ah – der Deutsche.“

Meine bereits vorformulierte Ansprache übers Busmikrofon kann ich aber bei anderer Gelegenheit verwenden. Die Schulkinder, die den Bus zum Heimweg nutzen wollten, hatten sich nämlich längst von ihren Eltern abholen lassen. Der neben mir letzte verbliebene Fahrgast drückte sich tief in seinen Sitz und murmelte „Don´t worry“ auf meine Entschuldigung. Kurz hinter Strömsund stieg er aus.

Und Lasse, der Busfahrer, war ziemlich entspannt. „Frag ihn, ob er Dich direkt an meinem Haus herauslässt“, hatte Irene, meine Gastgeberin für die kommenden vier Wochen, per whatsapp vorgeschlagen. „Er kennt mich.“

So ging´s dann – allein im riesigen Reisebus – hinein in die letzten 133 Kilometer zu meinem Ziel, der 400-Seelen-Siedlung Gäddede. Draußen ein tief verschneites schwedisches Winteridyll und ein wunderschöner Sonnenuntergang.

Es war bereits tief dunkel, als Lasse mitten im Nichts anhielt und mit dem Finger auf ein schwach erleuchtetes Haus deutete: „Dein Ziel – viele Grüße.“ Aus der Nacht tauchte eine Gestalt mit einer Stirnlampe auf: Kris aus Schottland, wie ich ein „Workawayer“ bei Irene.

Zehn Tage werden wir sie gemeinsam bei der aufwändigen Arbeit mit ihren zehn Alaskan Malamutes unterstützen – dann muss ich bis Ende Februar ohne Kris´ Schlittenhunde-Erfahrung auskommen, während Irene tagsüber arbeiten geht.

Auf ins Abenteuer!

Danke an alle!

Ich habe meine Spende übergeben. Insgesamt sind 2.000 Euro zusammengekommen. Mit dem Geld möchte ich wie angekündigt Freizeitangebote für Menschen mit Behinderung der St. Elisabeth-Stiftung (mein Arbeitgeber) unterstützen. Eine Idee ist, dass die Stiftung mit dem Geld eine Busfahrt zu einem Fußballspiel anbieten kann.

Karl-Alexander Kleinheinz und Paul Moll von der Wohngemeinschaft Simon im Jordanbad haben den symbolischen Scheck zusammen mit Anna Weber, der Leiterin Fundraising und Fördermanagement der St. Elisabeth-Stiftung, bekommen. Vielleicht klappt´s ja mit einer Fahrt zum VfB.

Ich möchte mich bei allen bedanken, die meine Spendenaktion unterstützt haben. Ganz besonders beim Emir von Pfuhl.

Viele, viele Menschen haben mir alles Gute für die Reise gewünscht – und ich habe auch eine Menge positiver Rückmeldungen zu diesem Blog erhalten. Vielen Dank auch dafür!